Von Heinrich Ahrens
Wie kam Schöningen zu einem Bahnanschluss/Bahnhof? Das ist der Weitsicht von August Philipp von Amsberg (1788−1871) zu verdanken sowie den Kohlegruben bei Schöningen/Alversdorf und bei Trendelbusch.
August Philipp von Amsberg wurde 1836 zum Leiter der Eisenbahn-Kommission im Herzogtum Braunschweig ernannt, nachdem er 1833 Geheimer Legationsrat und Finanzdirektor geworden war. Sein Anliegen war, dass das Herzogtum Braunschweig darauf bedacht sein musste, nicht zwischen den Nachbarn Königreich Hannover und Preußen zerrieben zu werden. In dieser Zeit präsentiert er den Plan, die Städte Hamburg, Hannover und Braunschweig mit einer Eisenbahn zu verbinden. Auch strebte er eine Eisenbahnverbindung zwischen Braunschweig und Magdeburg an, um eine Verbindung an den Elbeschifffahrtsweg zu bekommen. Amsberg gelang es mit diplomatischem Geschick, das Interesse Preußens, eine schnelle Verbindung von Berlin zu der neu auf Beschluss des Wiener Kongresses von 1814 / 15 erworbenen Rheinprovinz zu schaffen, für den Braunschweiger Staat zu nutzen. Die Ost- West Verbindung Berlin – Köln sollte über Wolfenbüttel-Oschersleben (preußisch) geführt werden. Amsberg ließ sich die Strecke Wolfenbüttel-Oschersleben 1840 genehmigen, die bereits am 10.7.1843 als eingleisige Strecke in Betrieb ging. Die 1837 begonnene Bahnstrecke Braunschweig-Wolfenbüttel-Harzburg wurde wegen schwierigen Geländes erst am 8.11.1843 auf der gesamten Länge in Betrieb genommen.
Die Verbindung Köln (Deutz)-Minden-Hannover-Braunschweig-Berlin konnte dann am 15.10.1847 in Betrieb genommen werden.
Die Bahnlinie Braunschweig-Jerxheim-Oschersleben führt am Braunkohlenrevier der herzoglichen Gruben bei Schöningen/Helmstedt vorbei. Die neu gegründeten Zuckerfabriken in der Region (z.B. Watenstedt, Schöppenstedt, Dettum) forderten eine Kohleversorgung per Eisenbahn, da der Transport mit Fuhrwerken zu aufwendig wurde. Auch die herzogliche Grubenverwaltung hatte großes Interesse, den Absatz ihrer Gruben Treue und Trendelbusch zu steigern. Man begann deshalb 1856 mit dem Bau der eingleisigen Strecke Jerxheim-Helmstedt, die am 20.7.1858 mit den Bahnhöfen Schöningen und Büddenstedt in Betrieb genommen wurde. Die Stichstrecke zur Grube Trendelbusch wurde am 1.10.1864 für den Güterverkehr – die Braunkohlenabfuhr – eröffnet. Der Güterzugbetrieb nahm in Schöningen dadurch erheblich zu.
Mit der Streckeneröffnung Jerxheim-Börßum 1867 hatte man ab Schöningen einen Anschluss an die Fernstrecken nach Köln, Berlin und Frankfurt.
Braunschweig und Preußen schlossen am 27.5.1868 einen Vertrag zum Bau der Strecke Schöningen-Eilsleben und zum zweigleisigen Ausbau Schöningen-Jerxheim, die am 15.9.1872 eröffnet wurde. Mit dieser Strecke erhielt die Grube Treue (Alversdorf) einen Bahnanschluss in Offleben. Im Zuge der Bauarbeiten wurde der Bahnhof Schöningen vom Durchgangsbahnhof zum Abzweigbahnhof umgestaltet. Die Hauptstrecke verlief jetzt von Berlin über Eisleben-Schöningen-Jerxheim nach Kreiensen bis Holzminden.
Die Strecke nach Helmstedt wurde Zweigbahn in Schöningen an einem Nebenbahnsteig.
Durch den Staatsvertrag vom 3.1.1885 ging die Braunschweigische Eisenbahn-Gesellschaft in den Besitz von Preußen über und wurde der Königlich Preußischen Eisenbahn Verwaltung (KPEV) unterstellt. Der Bahnhof Schöningen wechselte 1886 zur Direktion Magdeburg.
Ab Sommer 1896 befuhren täglich drei Zugpaare Eilsleben-Schöningen und ein Zugpaar Magdeburg Hbf. – Schöningen die Strecke, hinzu kamen die Courierzüge 141 und 142, die ohne Halt an den Unterwegsbahnhöfen verkehrten.
Der wachsende Braunkohlenabbau im Helmstedter Revier führte zu einem deutlichen Anstieg des Güterverkehrs. Der Bahnhof Schöningen erzielte 1900 die folgenden Abfertigungszahlen:
213.977 verkaufte Fahrkarten, 60.625 t Frachtempfang und 43.089 t Frachtversand.
(Vergleichszahlen Jerxheim = 43.883 Fahrkarten, 23.392 t Frachtempfang und 7.872 t Frachtversand. Vergleichszahlen Offleben = 46.249 Fahrkarten, 10.684 t Frachtempfang und 459.244 t Frachtversand).
Die Zahlen zeigen die zunehmende Bedeutung des Kohleversandes über die Strecke Eilsleben-Schöningen-Jerxheim. Um dem zunehmendem Personen- und Güteraufkommen gerecht zu wer-den, wurde das Bahnhofsgebäude 1905 um einen Warteraum für die 1. Klasse und eine Gepäckabfertigung erweitert.
Mit dem Anschluss der privaten Oschersleben-Schöninger-Eisenbahn 1899 und der Braunschweiger-Schöninger-Eisenbahn an die Staatsbahn 1902 in Schöningen nahm der Güterverkehr weiter zu.
Der größte Umfang des Schnellzugverkehrs Berlin-Kassel lag bis 1914 auf der Strecke Magdeburg-Eilsleben-Schöningen-Jerxheim-Kreiensen. Die Gleisanlagen des Bahnhofs wurden dem wachsenden Güterverkehr angepasst und für Betriebe wurden Gleisanschlüsse gebaut.
Im Gleisplan von 1927 sind noch die folgenden Anschlussgleise von Handels- und Industriebetrieben eingezeichnet.
Durch farbige Rechtecke wird die Lage der Betriebe in der Karte verdeutlicht.
Der Güterschuppen mit einer Fläche von 420 m² wurde für ein großes Umschlagvolumen ausgelegt.
Es war ein Überladekranmit einer Tragkraft von 15 t vorhanden, sodass auch große Maschinen und Anlagen der Schöniger Maschinenfabriken verladen werden konnten. Die Gleiswaage war für 33 t Tragfähigkeit ausgelegt.
Ab 1920 wurde der Fernzugverkehr auf der Strecke Magdeburg-Eilsleben-Schöningen-Jerxheim-Börßum wieder aufgenommen. Die Schnellzüge endeten in Kreiensen, führten aber Kurswagen für Anschlüsse nach Süden mit.
Mit Wirkung vom 1. April 1920 gingen die einzelnen Länderbahnen in den Besitz des Deutschen Reiches über. Im Oktober 1924 wurde aus den Bahnen des Reiches die Deutsche Reichsbahn Gesellschaft, kurz DRG, gegründet, die nach betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundsätzen geführt wurde.
Nach Auflösung der Reichsbahndirektion (RBD) Magdeburg wurde der Bahnhof Schöningen 1931 zusammen mit dem Bahnhof Jerxheim der RBD Hannover unterstellt.
Die Weltwirtschaftskrise hinterließ auch in Schöningen ihre Spuren. Industriebetriebe wurden geschlossen oder verlegten ihren Firmensitz wie z. B. die Chema (Stilllegung 1926), Sachtleben (Stilllegung 1930), Mackensen (Verlegung Firmensitz nach Magdeburg 1930) usw., was sich auf das Transportaufkommen auswirkte.
1937 wurden in Schöningen folgende Abfertigungszahlen erreicht:
(Quelle: „Die Schöninger Bahn“ unveröffentlichtes Manuskript W. Köhler 2007)
Ab 1938 wurden statt der Kurswagen neue Fernzüge Berlin-Börßum-Frankfurt eingerichtet, die zwischen Magdeburg und Börßum ohne Halt fuhren. Sie benutzten von/nach Jerxheim abwechselnd die Schöninger oder Oscherslebener Route. Auf der Strecke Börßum-Jerxheim-Schöningen-Eilsleben wurden dafür Personenzüge mit Bahnpostanbindung eingesetzt.
Im Januar 1945 brach der Bahnbetrieb der Reichsbahn zusammen. Ab 5. Juni 1945 konnte der Personenverkehr und ab 20. Juni der Güterverkehr zwischen Braunschweig und Jerxheim und nach Helmstedt wieder aufgenommen werden. Mit der Sperrung der Zonengrenze am 30.6.1945 und deren Wirksamkeit am 3.7.1945 musste der Bahnverkehr nach Eilsleben und von Jerxheim nach Oschersleben sowie Dedeleben eingestellt werden. Auch die Strecke der OSE nach Oschersleben wurde unterbrochen. In Schöningen hielten nur noch Personenzüge. Interzonenzüge wurden über die Strecke Eilsleben-Helmstedt-Königslutter geführt.
Ab dem 20.8.1945 wurden über den Schöninger Bahnhof die Braunkohlezüge von Offleben nach Jerxheim abgefahren. Schöningen war wegen seiner engen Platzverhältnisse für die Kohlezüge nur Durchgangsbahnhof. Sortiert und zusammengestellt wurden die Züge in Jerxheim. Der Bahnhof Schöningen unterstand dem „2. Regional Railway Control Team“ der britischen Armee mit Sitz in Hannover. Der zivile Güterverkehr wurde erst wieder im Juni 1946 für die Deutsche Reichsbahn freigegeben.
Nach Umwandlung der Reichsbahn in die Deutsche Bundesbahn (DB) am 7.9.1949 unterstand der Bahnhof Schöningen der Bundesbahndirektion Hannover.
In den folgenden Jahren prägten die Kohlezüge aus Offleben und Alversdorf den Bahnverkehr in Schöningen. Um keine witterungsbedingten Qualitätseinbußen bei den Briketts zu erleiden, setzte die Bundesbahn auf Drängen der BKB in den 1960-Jahren verstärkt Durchgangsgüterzüge ein.
So fuhr ab 1967 viermal im Monat montags ein durchgehender Güterzug mit Ross-Briketts und Brikozit der BKB nach Süddeutschland, wie in den BKB-Mitteilungen berichtet wurde.
„Wir (BKB-Mitteilungen) waren dabei, als Dg. 7550-Mo um 10.31 Uhr mit seinen 1.600 t Bruttolast (1200 t Nettolast) von der stärksten Dampflokomotive (BR 44) des Bundesbahnbereichs Hannover aus dem Bahnhof Offleben herausgezogen wurde. Der mit Ross-Briketts und Brikozit beladene Nonstop-Zug mit seinen 48 Waggons wird von der starken Dampflok bis Kreiensen gezogen. Dort wird der Zug auf E‑Lok umgekoppelt und rollt ohne Aufenthalt weiter über Bebra, Würzburg nach Nürnberg, wo er bereits um 23.47 Uhr eintrifft.“ (Quelle: BKB Mitteilungen Nr. 1967-03)
Die Auslastung der Personenzüge auf der Strecke Braunschweig-Wolfenbüttel-Schöningen-Helmstedt ging in den 1960-Jahren ständig zurück, da neue interessante Arbeitsplätze außerhalb von Schöningen nicht mit der Bahn erreichbar waren (z.B. VW Werk Wolfsburg) und der Individualverkehr durch die fortschreitende Motorisierung zunahm. Dementsprechend reduzierte die Bundesbahn die Anzahl der Züge.
Im abnehmenden Güteraufkommen spiegelt sich der Rückgang der Industrietätigkeit in Schöningen wider wie z.B. Stilllegung der Saline 1971. Der Verlust der östlichen Absatzgebiete und die damit verbundene Randlage in der BRD konnte nicht durch die staatlichen Fördermaßnahmen ausgeglichen werden. Ab Sommer 1972 verlor Schöningen den Rangierdienst an den Bahnhof Helmstedt. Der Bahnhof Schöningen lebte bis 1974 noch vom Abfahren der Kohlegüterzüge von den Verladungen der BKB in Offleben und Alversdorf.
Mit Stilllegung der Brikettfabriken der BKB zum 1.4.1974 entfiel das Frachtaufkommen, zeitgleich wurde die Strecke Schöningen-Offleben stillgelegt und anschließend abgerissen, da dort der Tagebau Alversdorf entstehen sollte.
Die Gleispläne 1975 und 1987 zeigen den fortschreitenden Rückbau des Schöninger Bahnhofes als Folge des sinkenden Verkehrsaufkommens.
Mit dem Sommerfahrplan 1975 entfielen die Züge Helmstedt-Seesen über Schöningen und zum 1.6.1975 wurde die Güterabfertigung in Schöningen geschlossen.
Ab dem Sommerfahrplan 1982 fuhren nur noch an Werktagen bis Sonnabendmittag Personenzüge über Schöningen. Mit Wirkung vom 30.9.1984 wurde die Strecke über Schöningen zur Nebenbahn herabgestuft. Damit wurde die Streckenunterhaltung auf das aller Notwendigste reduziert und das 2. Gleis zwischen Schöningen und Schöppenstedt wurde abgebaut.
Die gesamte Gleisanlage des Schöninger Bahnhofes wurde ab 1986 auf die reduzierten Aufgaben zurück gebaut. 1987 verfügte der Bahnhof nur noch über 2 Hauptgleise am Bahnsteig, 1 Abstellgleis und ein Ladegleis. Im Zuge des Rückbaues wurde auch der Anbau des Warteraumes am Bahnhofgebäude abgerissen.
1992 stellte die Bahn die Güterzugbedienung in Schöningen ein, da ihr das Güteraufkommen zu gering war. Daraufhin wurde auch das Ladegleis demontiert.
Mit der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn 1994 und Umwandlung in die DB AG wurden die Länder für den Nahverkehr zuständig. Die DB AG garantierte nur bis Ende 1997 die Bedienung der Strecke Helmstedt-Schöningen-Wolfenbüttel. Da das Land Niedersachsen bzw. der Zweckverband Großraum Braunschweig keine Festlegung für die Zeit ab 1998 traf, wurden nur die unbedingt erforderlichen Unterhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Das führte dazu, dass der Zugbetrieb am 1.12.1997 wegen desolater Gleisanlagen im Bahnhof Schöningen eingestellt werden musste. Nach Herabsetzung der Radlasten auf 15 t und dem Einsatz leichter Triebwagen wurde er am 7.12.1997 doch wiederaufgenommen, weil der Zweckverband Großraum Braunschweig Einspruch erhoben hatte. Instandgesetzt wurden die Gleisanlagen nicht! Die Strecke Schöppenstedt-Wolfenbüttel wurde ab 1998 wieder oberbaumäßig hergerichtet.
Im Dezember 2007 kam das Ende für die Schöninger Eisenbahnverbindung. Die kurze Bahnstrecke Schöningen-Bahnhof Alversdorf fiel dem Tagebau Schöningen der BKB zum Opfer. Am 8.12 2007 fuhr der letzte Zug auf der Strecke Wolfenbüttel-Schöningen-Helmstedt.
Die Politik bzw. der Zweckverband Großraum Braunschweig hatten dem Abriss der Strecke ohne eine vertragliche Verpflichtung der BKK zugestimmt, die Bahnverbindung nach der Auskohlung und Wiederverfüllung des Tagebaues wieder herzustellen! Die Straßenverbindung wurde wieder gebaut.
Seit 2007 stand das Bahnhofgebäude leer und wurde von Randalieren demoliert. Erst 2019 fand die Bahn einen Käufer für das Gebäude, der sich vorgenommen hat, das Gebäude Instand zu setzen und zu nutzen.
Die Bahnstrecke Schöningen-Schöppenstedt ist nicht entwidmet und der Zweckverband Großraum Braunschweig zahlt noch für die Strecke an die DB AG. Wie auf dem Gleisgelände des Bahnhofes erobert sich die Natur die Flächen der Strecke zurück.
Es fehlt ein länderübergreifendes – Niedersachsen/Sachsen-Anhalt – zukunftsträchtiges d.h. umweltverträgliches Nahverkehrskonzept für die Region Ostfalen.
Dem Artikel liegen zur Grunde:
- „ Angaben zur Geschichte des Bahnhofs Schöningen“ aufgestellt von G. Miska, Börßum 1998
- „Die Schöninger Bahn“ unveröffentlichtes Manuskript von W. Köhler 2007
- „ Wo lagen sie denn? Bahnhöfe im Wandel der Zeit“ , Heft 1, G. Miska, Börßum 1999
- „Die erste deutsche Staatseisenbahn“, Wilhelm M. Wunderlich, Cremlingen 1987