Der Aufruf hat Erfolg gehabt
In der letzten Ausgabe unserer Vereinszeitung wurde von den Werbeveranstaltungen 1949 und 1950 im Elmschlösschen berichtet und eine Aufstellung vieler Betriebe beigefügt. In dem Zusammenhang wurden Sie, liebe Leserinnen und Leser, gebeten, aus eigener Kenntnis zu berichten und das Leben bzw. Berufsleben der erlebten Zeit zu beschreiben. Erfreulicherweise haben sich zwei Personen gemeldet. Heute berichtet Ruth Lippelt, geb. Einbrodt. Sie hat zu ihrer Zeit bei Dobberkau in der Niedernstraße etwas aufgeschrieben und Bilder dazu mitgegeben.
Ruth Lippelt erzählt – Im führenden Textilhaus Gebrüder Dobberkau
Die Brüder Theodor und Rudolf Dobberkau führten das Geschäft gemeinsam. Sie waren aus Eschede gekommen, wo ihre Eltern ebenfalls ein Modegeschäft hatten. Früher wurde das Geschäft von Inhaber Probst geführt, der es an Dobberkau verkaufte.
Ein Tag als Verkaufslehrling
Morgens ab 8.30 Uhr war der Laden geöffnet, aber wir Lehrlinge mussten um Punkt 8.00 Uhr erscheinen.
Laden fegen, bohnern mit einem kleinen Bohnerbesen und Tuch und die Verkaufstresen reinigen. Dann bestellte uns der Chef alle ins Büro. Wir hörten eine „Gardinenpredigt“, so nannten wir es. Wir sollten zur Kundschaft zuvorkommend sein, freundlich und hilfsbereit, um möglichst immer etwas mehr zu verkaufen.
Der Chef sagte dann stets zum Abschluss: „Ihr alle seid im Verkauf die erste Garnitur; die Firmen Lübeck und Much haben die zweite Garnitur.“ Dann ging von der ersten Garnitur jede an ihre Ausbildungsabteilung.
Eine Hausfrau nähte damals ihre Garderobe selbst und so wurde Stoff in der Stoffabteilung verkauft. Dazu gab es In der Kurzwarenabteilung Reißverschlüsse, Nähseiden, Haken und Ösen. Gardinen, Bettwäsche und Tischtücher waren 1954 ein Renner. Es fehlte nach dem Krieg an allem.
Ein Verkaufslehrling wurde beauftragt, Firmenlieferungen, die mit der Post kamen, mit einem Handkarren abzuholen. Die Schieberei war sehr schwer und für ein kleines Persönchen eine dolle Arbeit. Fremde Kunden halfen dann oft beim Schieben.
Betrat eine wohlhabende Schöningerin den Laden, wurde sie von einem der Inhaber mit Handschlag und Verbeugung begrüßt. Ja, sie habe vor, etwas zu kaufen. Am Ende der Unterhaltung war es dann eine kleine Rolle „Amann“ Nähseide, die sie sich aber nach Hause bringen ließ. Ein Lehrling im ersten Lehrjahr musste dann in seiner Mittagspause (die Dame wohnte Alversdorfer Weg) die kleine Tüte dort abliefern.
Eigentlich wäre um 18:00 Uhr Ladenschluss gewesen, aber den gab es erst, wenn alle Durchschläge der Kassenzettel mit dem jeweiligen Block und der Kasse übereinstimmten. Oh je, wenn es nicht stimmte, musste alles noch einmal durchgerechnet werden – und gegenüber standen pfeifend die Verehrer der Lehrlinge.
Zu Hause durften wir aber nicht meckern, denn dort gab es nur zur Antwort: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre, da musst du durch!“
Aber schön war es doch und wir erzählen immer noch von früher.
Bürolehrling
Ich möchte nicht klagen, da ich Stenografie und Schreibmaschine in der VHS in Abendkursen als 15-jährige erlernt hatte, bekam ich vom Arbeitsamt zum Vorstellen zur Ausbildung als Bürokauffrau eine blaue Karte, mit der ich mich bei Dobberkau bewerben konnte.
Von beiden Chefs der Firma wurde ich für gut befunden und angenommen. Mein Lehrvertrag lautete „Einzelhandelskaufmann“ (kontorbetonte Arbeit), und es gab Schulunterricht in der Industrieklasse und Prüfung im Industriefach.
Nach Besichtigung des Büros saß ich dann jeden Tag vor einem großen Journal und musste alles im Kopf rechnen – es gab ja noch keinen Computer.
Nach knapp 2 Jahren starb plötzlich unsere langjährige Kassiererin und so wurde ich dann schnell zur Nachfolgerin gekürt. Meine Eltern mussten dieser Änderung zustimmen.
Ich war glücklich: Keine Befehle mehr – und den ganzen Laden hatte ich im Blickfeld. Es war ein ganz neues Arbeitsgefühl.
Abends musste ich ohne zu murren die Tageseinnahmen zählen, in eine „Bombe“ (eine runde Metallkassette) legen, diese zur Bank bringen und in einen Tresor werfen.
Als ich eines Tages den Chef nach einer Gehaltserhöhung fragte, sagte er prompt, ich solle doch abends mal zum Bahnhof gehen und jeden, der mit einer C&A- oder Weipert-Tasche aus dem Zug steige, überreden, die Waren fortan in Schöningen zu kaufen. Dann bekäme ich auch mehr Geld.
Im Herbst 1961 hörte ich im liebgewordenen Geschäft auf. Kinder hatten jetzt Vortritt.
Im Oktober 1961 habe ich acht liebgewonnene Mädchen zum Kaffeekränzchen zu mir nach Hause eingeladen und Sie werden es nicht glauben, einmal im Monat abwechselnd und das bis 2018, standen alle auf der Matte. Dann hat uns die Corona-Pandemie alles vermasselt. Doch nun treffen wir uns wieder regelmäßig.
Leider sind wir nur noch vier Frauen, inzwischen 80plus, aber Kaffee und Kuchen schmecken immer noch, nur nicht mehr selbst gebacken.
1958 bekam jeder Kunde, der Konfektionssachen kaufte wie Anzug, Mantel, Kleid oder Jacke einen Holzbügel mit eingraviertem Namen der Firma als Geschenk. Ich möchte mein Erinnerungsstück (es ist über 60 Jahre alt) dem Heimatmuseum schenken.
Ergänzung der Redaktion
Das Geschäft florierte weiter. Die Zeit war für den Einzelhandel noch immer günstig. Viele Frauen nähten Kleidungsstücke selber. In den 1960er Jahren führte die Firma Modenschauen im Deutschen Haus durch. Im Jahr 1962 ist bemerkenswert, dass Näherinnen in einem Wettbewerb ihre selbstgenähten Kleider vorführen konnten.
Die Brüder Dobberkau beendeten im Dezember 1970 ihr berufliches Schaffen und verpachteten ab 1971 das Geschäft an Hans Scheerer und Martin Hoeck. Diese legten es mit Homeyer und Strotmann in Helmstedt zusammen und führten das Textilgeschäft bis 1991 fort.
Im Februar 1993 wurde die Firma endgültig beim Amtsgericht Helmstedt gelöscht.