Familie Probst

Die Geschich­te des Hau­ses Nie­dern­stra­ße 8/​9 ver­bun­den mit der jüdi­schen Fami­lie Probst

In dem Vor­trag von Man­fred Saak und auch in dem Bericht von Ruth Lip­pelt wird das Geschäft Probst erwähnt. Ein guter Grund, sich mit der Geschich­te die­ses Hau­ses und somit der Geschich­te der Fami­lie Probst näher zu befassen.

Die Nie­dern­stra­ße

Der Name Probst taucht bei Karl Rose in sei­nem Buch „Hei­mat­buch der Salz­stadt Schö­nin­gen“ aus dem Jahr 1938 im 2. Band die­ser Rei­he auf. Im Kapi­tel „Die ein­zel­nen Stra­ßen und Häu­ser“ wer­den die Besit­zer und Besit­zer­wech­sel aller zur dama­li­gen Zeit vor­han­de­nen Häu­ser und even­tu­el­le bau­li­che Ver­än­de­run­gen auf­ge­zählt. Detail­lier­te Schil­de­run­gen zu den poli­ti­schen Ver­hält­nis­sen kom­men in die­sem Zusam­men­hang nicht vor. Zu der erwähn­ten Fami­lie Probst sind fol­gen­de Anga­ben bei Rose zu finden.

Karl Roses Auf­zeich­nun­gen
Phil­ipp Probst kauf­te am 20.6.1868 das Haus Nr. 5 in der Nie­dern­stra­ße und ver­kauf­te es 8 Jah­re spä­ter am 28.1.1876
1876 Phil­ipp Probst kauf­te am 20.1. einen ver­wil­der­ten Gar­ten und ließ dar­auf ein Haus erbau­en, dass die Nr. 9 erhielt
1898 wer­den die Söh­ne Her­mann und Emil David Besit­zer des Hau­ses
1899 wur­den die Geschäfts­räu­me durch den Umbau des Hau­ses erwei­tert
1901 wur­de Her­mann Probst allei­ni­ger Besit­zer
1906 Erneue­rung der Front; Schau­fens­ter wur­den ver­grö­ßert
1907 kauf­te Her­mann Probst das Nach­bar­haus Nr. 8 in dem sich ein Schuh­wa­ren­han­del von Ernst Bar­hei­ne befand. Die­ses Haus wur­de in den Umbau mit ein­be­zo­gen.
Karl Rose endet mit dem Satz: Am 1.11.1935 ging das Probst­sche Manu­fak­tur­wa­ren­ge­schäft in die Hän­de der Fir­ma Dob­ber­kau über.

Geschäfts­grün­dung

Phil­ipp Probst hat­te das Geschäft in der Nie­dern­stra­ße 5 bereits 1866 gegrün­det, wie auf einem Kas­sen­zet­tel aus dem Jahr 1930 rechts zu sehen ist und da das Geschäft wohl gut ange­lau­fen war und das Haus 1868 ver­kauft wer­den soll­te, erwarb Ph. Probst es. In der Anzei­ge unten ist vom „frü­her Heimburg’schen Hau­se“ die Rede und das Foto dane­ben zeigt das Haus Nie­dern­stra­ße 5, wie es vor eini­gen Jah­ren völ­lig saniert wurde.

Ähn­lich wird es 1866 gewe­sen sein, als Kauf­mann Probst sein Geschäft dort eröff­ne­te. Zehn Jah­re bot er hier Klei­dung an.

Neu­bau und Geschäftverlegung

Dann wird ihm die­se Laden­flä­che wohl zu klein gewe­sen sein und er kauf­te 1876, eini­ge Grund­stü­cke unter­halb sei­nes Ladens, einen ver­wil­der­ten Gar­ten, errich­te­te dar­auf ein Wohn- und Geschäfts­haus und betrieb sein Geschäft dann an die­sem Ort.

 

Das Haus läuft noch nicht unter der spä­te­ren Nr. 9, son­dern trägt noch die ASS-Nr. 348.

Oben: Auf der Anzei­ge vom 20. April 1895, also 11 Jah­re spä­ter, ist wei­ter­hin die ASS-Nr. zu lesen, aber als Geschäfts­in­ha­be­rin ist die Wit­we Probst erkenn­bar. Ihr Mann muss also in der Zwi­schen­zeit ver­stor­ben sein. Eine Todes­an­zei­ge in der Zei­tung ist noch nicht gefun­den. Dies bedarf wei­te­rer Recher­che in den Zei­tun­gen der Zeit.

Exkurs

Wochen­blatt und Anzei­ger für Stadt Schö­nin­gen und Umge­gend, wie der Titel voll­stän­dig lau­tet, erschien übri­gens erst­ma­lig am 26. Okto­ber 1864 als Pro­be­num­mer, die Juli­us Kamin­sky in Schö­nin­gen und Umge­bung ver­tei­len ließ um für ein Abon­ne­ment zu wer­ben
J. Kamin­sky hat­te die Not­wen­dig­keit gese­hen, das bei der guten Ent­wick­lung des Schö­nin­ger Han­dels und der Indus­trie, die­sen auch ein „Weg in die Öffent­lich­keit“ gebo­ten wer­den müs­se „und zwar mit weni­ger Umstän­den und Kos­ten, als dies in aus­wär­ti­gen Blät­tern sich errei­chen“ lie­ße.
Die Zei­tung erschien zwei­mal wöchent­lich am Mitt­woch und Sams­tag und hat­te ein hand­li­ches For­mat von etwa DinA 4.

Die Fami­lie Probst

Karl Rose hat in dem oben erwähn­ten Buch neben den Haus­be­sit­zern auch häu­fig die fami­liä­ren Ver­hält­nis­se auf­ge­schrie­ben. So ist in die­sem Fall zu lesen, dass das Ehe­paar Phil­ipp und Ber­tha Probst drei Kin­der hat­te.
1. Hen­ri­et­te Hele­ne Probst, gebo­ren am 8.3.1873
2. Her­mann Probst, gebo­ren am 14.11.1876
3. Emil David Probst, gebo­ren am 25.9.1880

Neu­er Geschäftsinhaber

Her­mann und Emil Probst wur­den 1898 Besit­zer des Grund­stücks Im dar­auf fol­gen­den Jahr wur­de das Haus umge­baut und die Geschäfts­räu­me erwei­tert. Aber bereits 1901 schied Emil Probst aus dem Geschäft aus und sein Bru­der Her­mann wur­de allei­ni­ger Besit­zer von Grund­stück und Geschäft.
Nach fünf Jah­ren (1906) ging Her­mann Probst eine erneu­te Erwei­te­rung des Geschäf­tes an. Etwa zur glei­chen Zeit kauf­te er das Grund­stück Nie­dern­stra­ße 8 hin­zu und gab bei­den Häu­sern eine ein­heit­li­che Fas­sa­de. Dabei ver­schwan­den auch die umsei­tig erwähn­ten Außen­trep­pen.
Es war das Jahr 1929. Im 63. Geschäfts­jahr hat­te Her­mann Probst wie­der­um die Geschäfts­räu­me erwei­tert. Auf dem Foto unten ist das Schuh­ge­schäft ver­schwun­den und das gesam­te Haus hat eine ein­heit­li­che Fas­sa­de bekom­men. Ob all die­se Ver­än­de­run­gen 1929 gesche­hen sind oder teils frü­her, ist noch nicht end­gül­tig geklärt. Aber eines ist deut­lich: Her­mann Probst war immer dar­an inter­es­siert, sein Geschäft zu ver­grö­ßern und zu moder­ni­sie­ren. Er war ganz sicher ein tüch­ti­ger Geschäfts­mann und genoss Anse­hen in der Stadt.

Die Aus­gren­zung der Juden beginnt

Kaum jeman­den hat­te es bis dahin inter­es­siert, wer jüdi­schen Glau­bens war. Man wuss­te es viel­leicht, aber es war eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, auch bei jüdi­schen Geschäfts­in­ha­bern ein­zu­kau­fen.
Und dann kam das Jahr 1933. Die Macht­über­nah­me der Nazis änder­te schnell das gesell­schaft­li­che Leben. Die Juden wur­den dis­kri­mi­niert. Den Deut­schen wur­de durch Geset­ze befoh­len, nicht bei den deut­schen Juden zu kau­fen. Den Juden wur­de der Zugang zu vie­len Beru­fen ver­wehrt. Kon­tak­te zu jüdi­schen Mit­bür­gern durf­ten nicht statt­fin­den.
Her­mann Probst war bis zu die­sem Jahr 2. Vor­sit­zen­der des Ver­eins selb­stän­di­ger Kauf­leu­te. Im Schö­nin­ger Anzei­ger vom 28.3.1933 wur­de mit­ge­teilt, dass er von sei­nem Pos­ten zurück­ge­tre­ten sei. Sicher­lich hat er dies nicht frei­wil­lig getan, son­dern die ver­än­der­te Lebens­si­tua­ti­on in Deutsch­land hat ihn dazu gezwun­gen.
Die Gesetz­ge­bung sorg­te dafür, dass nie­mand in jüdi­schen Geschäf­ten arbei­ten durf­te. Juden soll­ten kei­nen Besitz haben. Die gesam­te Lebens­la­ge zwang auch Her­mann Probst im Jahr 1935 dazu, sein Geschäft auf­zu­ge­ben.
Im Novem­ber 1935 kün­digt Theo­dor Dob­ber­kau an, dass er das Geschäft käuf­lich erwor­ben habe und er sich auf die künf­ti­ge Kund­schaft freue. (Sie­he letz­te Umschlag­sei­te) Die Kauf­mann­schaft Probst ist zu Ende.

Das gewalt­sa­me Ende

Vier Jah­re leb­ten die Fami­li­en Probst noch in Schö­nin­gen. Aber wie lebt man, wenn einem das Geschäft genom­men wur­de. Wenn man kei­ner Arbeit nach­ge­hen darf, also kein Ein­kom­men hat? Wo haben die Fami­li­en gelebt? Durf­ten sie noch in ihrem Haus woh­nen blei­ben? Im Stadt­ar­chiv sind kei­ne Unter­la­gen mehr über ehe­ma­li­ge jüdi­sche Mit­bür­ger vor­han­den. Die­se Kar­tei­kar­ten wur­den am Ende des Krie­ges ver­nich­tet.
Am 20.6.1939 muss­ten die Fami­li­en zwangs­wei­se nach Ber­lin über­sie­deln. Von dort wur­den sie depor­tiert:
Am 1.4.1942 Her­mann Probst und sei­ne Frau Käthe nach Pia­ski bei Lub­lin. Dort wur­den sie 1942 ermor­det.
Am 29.9.1942 Emil Probst und sei­ne Frau Hed­wig nach The­re­si­en­stadt. Emil wur­de dort am 10.10.1942 und Hed­wig am 18.5.1944 in Ausch­witz ermor­det. Die Stol­per­stei­ne zu ihrem Geden­ken sind in der Nie­dern­stra­ße Nr. 8/​9 vor dem ehe­ma­li­gen Geschäfts­haus verlegt.